Ich spare am Essen

Mall Rats (3): Frau Meier gehört zu den Stammkunden des Centers. Sie ist seit mehr als zehn Jahren arbeitslos und lebt von 50 Euro in der Woche. Unglücklich ist sie nicht


Wir sind jetzt seit drei Wochen im Center. Die Nächte verbringen wir in unserem Wohnwagen auf dem Parkplatz, die Tage auf der Ladenstraße, und langsam lernen wir die Stammkunden kennen. Peter, der Astrologe, sitzt im Café und bereitet sich auf die weltpolitischen Erschütterungen vor, die nach seinen Berechnungen das Jahr 2007 bestimmen werden; die ältere Dame mit den nachgezogenen Augenbrauen trinkt den ganzen Tag Prosecco bei "Il Mio" und kann abends trotzdem noch geradeaus nach Hause gehen; und am Rentnerstammtisch redet man am liebsten über Gebrauchtwagen.

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Auch Frau Meier kommt mehrmals die Woche ins Roland-Center, und vor einigen Tagen hat sie uns angesprochen: "Ich möchte bei dem Film mitmachen." Frau Meier ist arbeitslos. 1995 hat sie das letzte Mal Geld verdient, als Küchenhilfe. Seitdem ist sie einige Male vom Arbeitsamt in "Maßnahmen" untergebracht worden. Vor einigen Wochen hat sie einen Computerkurs abgeschlossen. Anschließend hat sie wieder Bewerbungen geschrieben. Penny, real, McDonald's, sie würde gerne irgendwo an der Kasse stehen. "Im Center habe ich meine Bewerbungen persönlich abgegeben." - "Und?" - "Alles Absagen." Die Formulierung war immer die gleiche: "Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihren weiteren beruflichen Werdegang."

Im "Bewerbercenter" hat man Frau Meier erklärt, dass sie mehr Absätze in ihren Anschreiben machen muss. Sie glaubt, dass das Problem ein anderes ist. "Ich bin zu alt, und ich sehe nicht gut aus." Frau Meier ist 55, ihr fehlen die oberen vier Schneidezähne. "Für Menschen wie mich bleibt nur der Pflegebereich, der Putzbereich und die Küche." Sie will sich jetzt trotzdem um ein Praktikum in einem Büro bemühen. "Da arbeite ich dann umsonst." Sie verbessert sich: "Nicht umsonst natürlich. Ich bekomme ja das Geld vom Amt." Der Regelsatz für Arbeitslosengeld II beträgt 445 Euro. Zum Leben bleiben ihr in der Woche 50 Euro. "Am Ende des Monats wird es knapp. Dann spare ich am Essen." - "Was heißt das genau?" - "Ich koche nicht mehr. Es gibt Brot, und manchmal hole ich mir bei Nordsee eine Tüte Pommes."

Ihr Lieblingsplatz im Center ist das Eiscafé Veneto. Manchmal isst sie hier ein gemischtes Eis oder eine heiße Waffel. "Aber das geht natürlich nur einmal im Monat." Ansonsten sitzt sie auf einer der Bänke neben dem Bassin mit den Goldfischen, unterhält sich mit anderen Besuchern, die genauso viel Zeit wie sie im Center verbringen, und freut sich, wenn auf der Ladenstraße eine besondere Aktion stattfindet.

Zurzeit präsentieren sich hier einige Museen - das interessiert sie. "Ich lerne gerne etwas." Zu Hause sieht sie sich im Fernsehen darum Dokumentationen und Tierfilme an, außerdem guckt sie "Visite", "das ist ein Gesundheitsheitsmagazin." Ein Telefon hat sie nicht, ihre Tochter, die in Frankreich lebt, ruft sie manchmal von einer Zelle aus an. Frau Schmidt ist geschieden, und in ihrer Wohnung, sagt sie, sieht es "wie bei Studenten" aus: "Ein paar Matratzen als Sofa." Einrichtungsgegenstände sind das einzige, wofür sie gerne etwas mehr Geld hätte: "Im Dänischen Bettenhaus gibt es oft interessante Angebote."

Es ist ein kurzes Interview. Frau Meier formuliert kurz und sorgfältig. Als wir sie fragen, ob sie nicht unglücklich sei, schließlich führe sie doch ein sehr hartes und sehr anstrengendes Leben, denkt sie kurz nach. Dann schüttelt sie den Kopf und sagt: "Ich mache mir selbst Hoffnung." Florian und ich überlegen, wie wir diese bemerkenswerte Frau zu einem Eis ins Veneto einladen können, ohne dass es peinlich wirkt. Uns fällt nichts ein.

KOLJA MENSING

Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen einen Monat im Einkaufszentrum. Geschichten und Videos unter www.13terStock.de


taz vom 2.11.2006, S. 17, 127 Z. (TAZ-Bericht), KOLJA MENSING